Agile Organisationen sind wie eine Jazzband, bei der es auf die Integration von kreativen Umsetzungen ankommt, so eine mögliche Metapher. Agile Transformation (hier als Überbegriff gewählt) gilt mittlerweile schlechthin als Schlüssel für erfolgreiche Unternehmensentwicklung. Wenig verwunderlich, wenn der Markt immer dynamischer, komplexer, disruptiver (Christensen 1997) und digitaler wird und zugleich die Zufriedenheit von Mitarbeitenden sinkt.

Warum wohl scheitern viele Organisationen in der Umsetzung? Wird die Praxistauglichkeit überschätzt? Der folgende Text zeigt einige Schlüsselstellen der Wandlung auf, wirft aber auch einen kritischen Blick auf die Thematik.

 

Was ist und will Agilität?

Agilität hat zahlreiche Wurzeln, beispielsweise im Lean Management und in der Softwareentwicklung. Häufig gilt der Fokus der Effizienzsteigerung (z. B. Verkürzung von Entwicklungszyklen), der Stärkung von Teams und einer optimalen, dynamischen Kundennähe. Als Erfolgsmodell wird meist der Musikstreaminganbieter Spotify erwähnt, der in einem hart umkämpften Markt konsequent und ganzheitlich die agilen Methoden umgesetzt und zudem die gesamte Ablauf- und Aufbauorganisation agil aufgestellt hat. Zentrales Gestaltungselement ist dabei das Prinzip der Autonomie.

 

Transformationen erfordern soziale Kompetenzen und die Diskussion über den Nutzen

Ausserhalb der Informatikwelt werden oft einfach Elemente der agilen Methode (Task, Kanban-Wände) genutzt. Grundlegend erfordert agile Transformation jedoch vermehrt Steuerungs- und Konzeptionskompetenzen, denn ohne Investitionen in die Steuerung und die Beschäftigung mit Nutzenstiftung/Wertversprechen wird die Transformation gefährdet. Für die zielorientierte und nachhaltige Zusammenarbeit sind soziale Kompetenzen unumgänglich.

 

Veränderung des bisher vorherrschenden Mindsets und Strukturen

Wichtig ist, dass das Organisationsdesign angepasst wird, starre, stark hierarchische Strukturen, Standardprozesse und Liniendenken gefährden die Wandlung. Das funktionale, teils stark zentralistische Denken muss einem ganzheitlicheren Geschäftsverständnis weichen. Es stehen funktionierende Systemkomponenten vor Statusberichten, aktualisierten Pflichtenheften, Lastenheften… Agile Transformation erfordert Zeit, um wichtige Erfahrungen machen zu können. Der Erarbeitung von bestimmten Haltungen und geteilten Werten kommt viel Bedeutung zu. Persönlichkeits- und Teamentwicklungen – insbesondere die Reflexion über Macht und Rollen – sind zentraler Bestandteil des Konzeptes, wobei diese Elemente auch bei klassischen Organisationsformen sehr wichtig wären.

Reflexion und Aufbruch als Chance

Die oftmals schlechten Werte rund um die Zufriedenheit der Mitarbeitenden kann man als sehr offensichtliche Einladung zur Transformation nehmen. Es ist gut beobachtbar, dass durch die Reduktion von Formalisierung und Standardisierung, die Handlungsspielräume grösser werden und somit auch die Mitarbeiterzufriedenheit wieder zunimmt. Als Psychologe erscheint mir einer der zentralsten Punkte zu sein, dass die intrinsische Motivation wieder mehr Bedeutung erhält. Management wird, entgegen der häufig angetroffenen Erwartung, nicht weniger bedeutsam. Es entstehen Räume für Entwicklung, Entscheidungen finden demokratischer und effektiver statt, die Zielerreichung optimiert und die Wandlungsfähigkeit des Unternehmens erhöht. Die Ganzheitlichkeit trägt dazu bei, dass sich die einseitige Leistungsorientierung abschwächt, hin zu pluralistischeren Modellen mit konsequenter Umsetzung von Empowerment.

 

Agilität als Wundermittel?

Ist wirklich alles so neu, was unter dem Begriff Agilität «verkauft» wird? Ich behaupte, dass

viele Elemente der agilen Transformation auch sonst auftauchen. Beispielsweise begegnet man der Wichtigkeit der Partizipation, dem Prinzip der Augenhöhe verbunden mit wertschätzendem Umgang, der Entwicklung einer Fehlerkultur oder auch der Stärkung der internen Kommunikation, usw. längst auch in anderen Managementtheorien, -modellen und -ansätzen. Gerade die Wichtigkeit der internen Kommunikation oder auch die Wertekongruenz konnte ich auch im Rahmen meiner Forschung rund um das Konzept der «Unternehmerischen Führung» nachweisen. Irgendwie verhält es sich mit agiler Transformation wie mit der Innovation, jedes Unternehmen bezeichnet sich doch heute als innovativ. Ist es vielleicht auch einfach dienlich, mit dem Begriff Agilität oder agile Führung praktischerweise nur die eine Stellschraube zu haben? Oder gleicht das Interesse eher der Suche nach Selbstbestätigung, bereits agil zu sein?

 

Der kritische Blick ist heilsam und schafft eine gesunde Erwartungshaltung

Agilität ist ein höchst unscharfer wenn nicht sogar schillernder Begriff (siehe Jafarnejad & Shahaie 2008). Aus Studien über das Verständnis zeigen sich folgende Gemeinsamkeiten: Geschwindigkeit, Anpassungsfähigkeit, Kundenzentriertheit und die agile Haltung (agiles Mindset). Einige Gedanken zu Agilität tauchen seit teilweise mehr als 50 Jahren schon auf (z. B. in postbürokratischen Organisationsprinzipien, horizontale Autorität (Parker Folett 1940). Meist verleiht die Digitalisierung diesen Ansätzen ihre scheinbar hohe Aktualität. Der Blick für historische Entwicklungen verhilft relativ bald zu mehr Gelassenheit.

Kritische Elemente sonst:

  • Es ist spürbar, dass die Ansätze oft von Softwareentwicklern entwickelt und vorangetrieben wurden. Welt- und Menschenbilder muten manchmal sehr rational-technisch an, mit dem Ziel, die Menschen in den Griff zu bekommen. Menschen zeichnen sind jedoch durch Unbewusstes, Werte und Normen aus – mathematisch-logische Algorithmen dienen mässig. So haben Organisationen auch kein kontrollierbares «computer-ähnliches Betriebssystem», das sich über Nacht – natürlich überstülpt – updaten lässt. Sie verfügen über ein komplexes Innenleben, eine Organisationskultur, die auch längst keine Black-Box mehr ist.
  • Empirisch sind die Ansätze oft ungenügend begründet, meist Anekdoten und die sorgfältige Übertragung aus der Software-Entwicklung in jeweils andere Felder bleibt teils auf der Strecke.
  • Die geforderte Trennung von Individuum und Rolle macht in einem Modell mit Ganzheitlichkeitsanspruch wenig Sinn, zudem überfordert sie die Menschen (Selbstwert, Anerkennung, Rückmeldungen zur Arbeit, nicht nur bezüglich Funktion, sondern oft auch zur Persönlichkeit).
  • Wenn die Trennung funktionieren würde, dann wären Menschen bei Entscheidungen im Unternehmen nicht persönlich involviert (Gefühle, Gedanken, Wünsche). Aber die Persönlichkeit ist nicht an der Garderobe abzugeben, siehe dazu aktuelle Studien der Verhaltensökonomie!
  • Folglich braucht es reife, reflektierte, selbstverantwortliche (eben intrinsisch motivierte) Mitarbeitende – die Anforderungen an Entwicklung sind somit sehr hoch. Es gilt zudem zu reflektieren, wieweit sich Autorität an Prozesse und Systeme abgeben lässt?
  • Die scheinbare Befreiung von Bürokratie und Kontrolle wird via Hintertüre durch umfangreiche Regelwerke (z.B. holokratische Verfassung) «mindestens» kompensiert.
  • Agilität – als Reaktion auf die Passivität gegenüber der Umwelt ist nicht die einzige Leistung, die erbracht werden muss. Es geht ebenso um aktive Transformation, sich nicht nur anzupassen, sondern die Umgebung auch zu verändern (Silberzahn 2017).

Nach meiner Beurteilung geht es fast nicht, sich nicht mit Agilität auseinander zu setzen. Dabei kann aber durchaus auch resultieren, dass Sie merken, dass es in ihrem Unternehmen eher dran ist, ganz konkrete kleine Stellschrauben wirksam anzupacken und so Veränderungen (in Richtung Agilität) zu erwirken.

 

Praxistipps als mögliche Stellschrauben in Richtung agile Transformation

Ich habe unterdessen einige Unternehmen aufgebaut, geführt und auch beraten. Stellt man die Wirkung, die man erzielen möchte in den Vordergrund – wie wir dies bei der «Unternehmerischen Führung» tun, dann können gut als nächste Schritte auch einzelne Stellschrauben bedeutsam werden. Dies entspricht abgesehen davon auch mehr der Philosophie des «Kultivierers» :-).

  • Effektive, wertschätzende Kommunikation forcieren. Auch informelle, nicht formalisierte Kommunikation anregen.
  • Stärkung von Selbstreflexion und Persönlichkeitsentwicklung – agiler werden heisst auch, sich selbst in Frage stellen zu können – entgegen der Selbstbestätigungstendenz. Individualität und Integrationsfähigkeit (Kuhl 2015) sind gleichermassen gefragt.
  • Delegation ausgewählter Entscheidungskompetenzen und damit die Vereinfachung und Beschleunigung bestimmter Abläufe.
  • Verständnis der verankerten Strategie als Bewegung (experimentell, evolutiv und explorativ) und nicht als Programmatik, einschliesslich der antizipativen Fähigkeiten.
  • Intrinsische Motivation vermehren, anstelle sinnlosem Roboterverhalten.
  • Werte thematisieren und authentisch leben (Artefakte) – Leitbilder alleine genügen nicht – Kultur ist der Ausdruck der summierten Eindrücke und Erfahrungen.
  • Von Erfolg (oft nur monetäre Kennzahlen) hin zu laufenden Prozessen (iterativen Schleifen) von Wirksamkeit und Wertschöpfung.
  • Veränderungsbereitschaft schaffen, denn Veränderung löst Angst, Kontrolle und Reibung aus – ansonsten besteht die Gefahr von Fluktuationswellen. Gewisse Berater und Beraterinnen werden Ihnen grosse Projekte verkaufen wollen, bleiben Sie auf der Hut.
  • Bauen Sie Ambiguitätstoleranzen auf, die Welt heute ist oft Sowohl-als-auch, Momentaufnahmen, situative Entscheide…, der Umgang mit Spannungsfeldern ist eine bedeutsame Fähigkeit im Umgang mit der Komplexität und Geschwindigkeit in unserer Zeit. Eine Dezentralisierung bedeutet beispielsweise immer auch mehr Koordinations- und Integrationsaufwand (Identitätsdilemma). Flexibilität hat auch den Preis von Unsicherheit und weniger Stabilität. Der Abbau von Hierarchie bringt auch weniger Klarheit bezüglich Kompetenzen und damit ein grösser werdender Kommunikationsaufwand mit sich.

 

Jack Welch, ehemaliger CEO von General Electric brachte das agile Prinzip bereits 1989 wunderbar, wenn auch etwas zugespitzt, zum Ausdruck: «Unser Traum ist ein grenzloses Unternehmen, welches die Mauern niederreisst, die uns innen voneinander und aussen von unseren Ansprechpartnern trennen. Dieses Unternehmen, das wir uns vorstellen beseitigt die Barrieren zwischen Engineering, Fertigung, Marketing, Vertrieb und Kundenservice, Labels wie Management, Angestellte oder im Stundenlohn tätige werden ignoriert und gelöscht, weil sie der Zusammenarbeit von Menschen im Wege stehen. Ein grenzenloses Unternehmen wird auch die Wände nach aussen niederreissen und die wichtigsten Stakeholder an einem gemeinsamen Prozess teilhaben lassen, in dem wir unser Denken und Handeln zur Zufriedenheit unserer Kunden in einem gemeinsamen Ziel vereinen.»

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