Im Gegensatz zum Computer gibt es im Leben keine wirkliche Delete-Taste. Manchmal versuchen zwar Menschen mit Suchtmitteln oder Verdrängung Erinnerungen aus dem Leben zu drängen – jedoch erfolglos. Das Vergessen von belastenden Erlebnissen könnte durchaus hilfreich sein. Unbewusst klappt das Vergessen (Schlüssel, Termine usw.) ja ganz gut, meist jedoch verursacht durch Flüchtigkeit, Abwesenheit und Blockierung.

Erinnerungen sind immer mit Gefühlen, Bewertungen und Wissen eingefärbte Elemente – eher nicht so zuverlässig. Darum wohl ist in den Ferien gekaufter Wein zuhause oft nur halb so toll. Fehlattributionen – falscher Ort, falsche Person… und Suggestibilität tragen zusätzlich zu Verzerrungen bei. Dies weil unser Gedächtnis sich nur aufs Wesentliche fokussiert. Unser Gehirn speichert Dinge sehr unterschiedlich, bekannt sind vor allem das Kurz- und das Langzeitgedächtnis, dann vielleicht noch das Arbeitsgedächtnis. Das leichter formbare, deklarative Gedächtnis besteht aus Erinnerungen mit bewusster Wahrnehmung, das prozedurale Gedächtnis – Speicherung aufwändiger dafür längerfristiger – dagegen baut sich unbewusst aus. Hier werden automatisierte Handlungsabläufe (z. B. Instrument lernen) abgespeichert.

 

Gibt es wirklich kein bewusstes Vergessen?

Jeremy Manning von der Dartmouth-Universität und Kenneth Normann von der Fakultät für Neurowissenschaften in Princeton fragten sich, ob der Prozess des Vergessens vielleicht ganz ähnlich funktioniert wie der des Abspeicherns von Erinnerungen, nämlich über den Kontext. Die Ergebnisse ihrer Forschung veröffentlichten sie im Journal «Psychosomatic Bulletin & Review».

Durch die Veränderung des kognitiven Kontextes gelang es den Experimentteilnehmenden, eine Liste von Wörtern weitgehend aus ihrer Erinnerung zu entfernen. Noch ist unklar, wie dieses Resultat entsteht, ob durch Verdrängung des Kontextes oder nur dadurch, dass die Kontextbilder bewusst nicht repetiert wurden. Wie, ob und wie nachhaltig diese Form des Vergessens bei posttraumatischen Belastungsstörungen genutzt werden kann, bliebt offen. Denn der Kontext, den die Forscher über die Bilder in das Gedächtnis ihrer Probanden injizierten, war künstlich.

 

Wer steuert wen? Konkrete praktische Hilfestellungen

Unschöne Gefühle und Erinnerungen gehören zum Leben, sie unterdrücken zu wollen ist wenig erfolgsversprechend. Dort wo uns aber solche Gefühle gefangen nehmen, wir ihnen hilflos ausgeliefert sind und den Ausweg nicht mehr finden, dadurch massiv belastet und beeinträchtig sind, wäre das Vergessen eigentlich eine hilfreiche Option.

Klar ist nach heutigem Stand des Wissens, dass wir herausgefordert sind, diesen Gefühlen einen begrenzten Platz zuzuweisen und sie in Relation zu setzen. Denn die übermässige Auseinandersetzung führt neurologisch gesehen zu starken «Bahnungen und synaptischen Verbindungen» im Gehirn und dadurch zu ständiger Erinnerung, so dass sich Gefühle nicht mehr durch das reale Leben, sondern durch diese Erinnerungen manifestieren.

Unsere Aufgabe ist es also, mental die Steuerung zu übernehmen (aktive Aufmerksamkeitssteuerung), Grenzen zu setzen und Gedanken zu stoppen, sich bewusst für mindestens zwei Minuten durch aktive, nicht monotone Tätigkeiten abzulenken und mit alternativen, entspannenden, positiven Gedanken und Bildern zu ersetzen. Es dient allenfalls, räumliche Veränderungen vorzunehmen, erinnerungsspezifische Bilder und Musik zu meiden, damit die Erinnerung nicht ständig (noch zusätzlich) aktiviert wird.

Eine andere nützliche Technik ist, alte, unerwünschte Informationen durch verwandte neue Informationen zu ersetzen. Nach vorne schauen und sehr bald neue, positive Erfahrungen machen. Und übrigens hat bereits der Vorsatz, vergessen zu wollen einen förderlichen Effekt, wie Forscher um Tracy H. Wang herausfanden.

 

Delete gibt es nicht, jedoch aktives Vergessen

Trotz allem bleibe ich dabei. «Delete» im Leben gibt es nicht. Wir sind unter anderem auch, was wir an Erfahrungen und Erlebnissen in unserem Lebens-Rucksack gesammelt haben. Dies so zu akzeptieren ist nicht immer so einfach. Ich bin aber trotzdem überzeugt, dass es in einem schrittweisen Prozess gelingen kann, durch solche Ereignisse klarer, fokussierter, selektiver, menschlicher vielleicht auch bescheidener zu werden. Es ist wie mit dem Feuer: Wir haben sehr wohl abgespeichert, dass wir uns daran verbrennen können, trotzdem aber denken wir nicht jeden Tag daran, dass wir uns daran verbrennen könnten. Oder anders formuliert: Vergessen bedeutet nicht verschwinden.
Entsprechend konnten Forscher aus dem Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried nämlich zeigen, dass beim Vergessen lediglich der Zugang zu verschiedenen Erinnerungen erschwert wird, die Verbindung zwischen den Nervenzellen, die eine Erinnerung sozusagen speichern, jedoch bestehen bleibt. Es ist zu vermuten, dass emotional abgespeicherte Gedächtnisinhalte stärker eingebrannt und dadurch bezüglich «Vergessen» oder «Umformen, Überschreiben» anspruchsvoller sind. Professionelle Unterstützung ist da sicher sinnvoll.