Corona fordert uns nicht nur politisch, medizinisch und wirtschaftlich, sondern zunehmend hat die Krise auch psychische Folgen und erfordert unsere Aufmerksamkeit. Solche externen Stressoren (wie Corona aktuell) sind für uns alle unbekannt, zu einem guten Teil unvorhersehbar, unberechenbar und abstrakt. Wir haben keine bereits angelegten Handlungsmuster (Skripte), darum können sie psychische Symptome und Erkrankungen hervorrufen und verstärken.

 

Unser Umgang mit Unsicherheit und Kontrolle

Wir haben eine Gesellschaft aufgebaut, die mit der Illusion von Sicherheit lebt(e), uns erfolgreich darin trainiert, Unsicherheiten auszublenden. Teilweise herrscht(e) sogar ein Gefühl von Machbarkeitswahn. Verdrängen, ignorieren, bagatellisieren und verleugnen können bis zu einem gesunden Mass hilfreiche Strategien sein, wieder Kontrolle und damit Sicherheit zu erlangen. Werden diese Elemente zu dominant – wie dies aus meiner Optik in den letzten Jahren der Fall war, verlernen wir grundlegende Fähigkeiten im Umgang mit Herausforderungen.

 

Was macht die Krise mit unserer Psyche

Ein bewusster Umgang mit der Krise hilft, die Situation anzunehmen und dadurch kann sich die Angst vermindern. Eine Krise löst oftmals Hilflosigkeit und Verlust der Handlungsfähigkeit aus, wir fühlen uns ohnmächtig. Diese Symptome kennen wir aus depressiven Erkrankungsbildern und Angsterkrankungen. Die vor der Krise aufgebaute Stabilität und Fähigkeiten – wie zum Beispiel das Aufschieben von Bedürfnissen, kann uns auch in einer Krisenzeit als Schutz dienen.

 

Unsere Reaktionsmöglichkeiten

  • Angst ist kein Tabu

Vorab finde ich es grundlegend wichtig, dass wir mit Offenheit gegenüber unseren Unsicherheiten agieren. Ängste sind normal und nichts Schlimmes, sie sollen Thema sein und uns damit bewusster werden. Der falsche Umgang mit den Gefühlen ist deutlich gefährlicher. Angst soll/darf aber auch nicht alles dominieren. Da sie sich schnell überträgt, ist ein sorgsamer Umgang damit wichtig.

  • Sozialer Austausch und Lachen

Aufgrund der notwendigen und zielführenden Anordnungen des Rückzugs und social distancing wird unser Bedürfnis nach Nähe, Bindung und sozialem Austausch gestört. Umso wichtiger ist es, uns mit für uns bedeutsamen Mitmenschen austauschen (Facetime, Skype, innerfamiliäre Gespräche) und so die nötige Distanz zur anspruchsvollen Situation und schrittweise Kontrolle und Sicherheit zu erlangen. Dazu kommt, dass wir feststellen, dass auch andere «im gleichen Boot» sitzen und wir uns gegenseitig unterstützen können. Vermehrt tritt dadurch das Individuum zugunsten des Kollektivs in den Hintergrund und unverantwortungsvolles Handeln (Hamstereinkäufe, Nichteinhalten der Anordnungen) reduziert sich. Da Forschungen zeigten, dass in der Krise die Empathie füreinander leidet, ist solch sozialer Austausch als Gegengift umso wichtiger. Bisherige Herausforderungen (Klima, Digitalisierung usw.) treten vermehrt in den Hintergrund. Eine gute Möglichkeit eine innere Distanz zu bekommen ist auch der Humor.

  • Routine und Rituale

Durch die Entfremdung der bisherigen Tagesstruktur entsteht ein Boden für toxische Gedanken. Darum ist es in Zeiten massivster Eingriffe in unseren Alltag hilfreich, sehr bald Routine und Rituale zu entwickeln. Schon ein gemeinsames Aufstehen und Frühstück z. B. verleiht unserem Alltag Stabilität und Struktur. Auch regelmässige Bewegung (z. B. ein Parcour in der Wohnung) oder gemeinsames Musizieren oder Filmeschauen ist ein bedeutsames Element.

  • Umgang mit Information

Sich mit der Realität zu verbinden hilft, wieder vermehrt handlungsfähig zu fühlen. Es bedingt aber dringend, dass wir Informationen auf ihre Vertrauenswürdigkeit, Güte und Quelle überprüfen. Zudem gehört auch eine Dosierung der Informationen, besonders der sozialen Medien dazu. Es ist nicht dienlich die Kommunikation auf «keine Panik» zu trimmen, denn viele Menschen ziehen daraus falsche Schlüsse. Ein offener, ehrlicher, fachlicher Umgang mit Fakten und Ängsten ist deutlich hilfreicher.

  • Sich und anderen Gutes tun

Der eigenen Psyche Gutes zu tun ist in Zeiten der Krise, welche Stress auslöst noch weniger gegeben als im «normalen Alltag». Es hilft, ganz bewusst und regelmässig gute Dinge für sich und andere zu planen. Die Möglichkeiten sind endlos: Postkarten und Briefe schreiben, den Nachbarn eine Überraschung vor die Türe legen, ein schönes Buch lesen, ein Bad nehmen, Musik hören, ein Filmklassiker anschauen usw. Gutes tun schüttet Glückshormone wie Adrenalin, Endorphin aus und stärkt die Serotoninproduktion.

 

Vermehrte Sorgfalt und Menschlichkeit

Weder Panik noch Verdrängung sind für sich alleine dienliche Reaktionen. Es wäre wünschenswert, wenn wir mit der Krise von Corona wieder lernen könnten, unser Bedürfnis nach Kontrolle so in den Griff zu bekommen, dass Unsicherheit und ab und zu auch Scheitern auch ihren natürlichen Platz finden können. Vielleicht lernen wir uns wieder vermehrt als Teil eines grossen Ganzen zu sehen und uns mit unseren Grenzen und der Vergänglichkeit auseinander zu setzen und zu versöhnen. So entsteht Vertrauen, dass wir getragen und geborgen sind, trotz bedrohlicher Umstände. Es werden wieder bessere Zeiten kommen, Hoffnung ist ansteckender als Angst!